Nachwuchsbiathletin Sophia Schneider im Interview:
Wie hast Du als Biathletin im letzten Jahr die 12. Europäischen Olympischen Winter-Jugendspiele (EYOF) erlebt und Dich mit insgesamt drei Strafrunden von Platz 11 bis auf den Bronzerang nach vorne gekämpft? Wie laufen die Rennen ab?
Sophia: Vorab zum Ablauf der Rennen. Das 1. Rennen sind 6 km Sprint, im Abstand von 30 Sek. wird gestartet und zweimal wird geschossen, zuerst liegend und dann stehend. Die hier erreichte Platzierung im Sprint ist die Startposition für das 2. Rennen, die „Verfolgung“. Die „Verfolgung“ umfasst eine Strecke von 7,5 km mit zweimal Schießen im Liegen und zweimal im Stehen. Bei den Europäischen Olympischen Winter-Jugendspielen gibt es noch ein 3. Rennen, die Mixed-Staffel. Es starten zuerst 2 Mädchen und dann 2 Jungen für jede Nation, jeder muss einmal liegend und einmal stehend schießen, nach 6 km wird an den nächsten durch Körperberührung übergeben.
Und jetzt zur Aufholjagd?
Sophia: Weil ich beim Sprint bei 60 Startern den 11. Platz belegte – zwar mit vier Schießfehlern, aber der besten Laufzeit – bin ich beim 2. Rennen, der „Verfolgung“, von Platz 11 zwar gestartet, wusste aber, dass ich mit einer guten Schießleistung immer noch auf einen Medaillenrang kommen kann. Mit diesem Gedanken bin ich ins Rennen gegangen. In der 1. Runde habe ich eine Reihe von Läuferinnen überholt, es lief gut. Dann kam das erste Schießen liegend. 1 Fehler – schnell durch die Strafrunde – und weiter. In der 2. Runde wieder einige Läuferinnen überholt, ein gutes Gefühl und dann beim zweiten Schießen liegend 2 Fehler. Verärgert über meine 2 Strafrunden, jetzt insgesamt mittlerweile 3 Strafrunden, ging meine Medaillenhoffnung leicht zurück. Aber jetzt schon aufgeben – keineswegs. Ich wusste, ich habe 5 Laufrunden insgesamt und jetzt waren es noch 3 Laufrunden. Ich musste aber ab jetzt gut laufen und auch gut schießen. Wieder einige Läuferinnen überholt und in der 3. Runde kein Schießfehler. Das war die Motivation schlechthin. Aber die anderen Läuferinnen waren auch sehr gut im Schießen. Ab Runde 4 war mir klar, es dürfen nur noch 0 Schießfehler sein. Der Stadionsprecher sagte gerade durch, dass die Ukrainerin, die bis jetzt auf Platz 1 gelegen hatte, 3 Schießfehler hatte und damit aus dem Medaillenrang raus war. Da ich einige Läuferinnen vor mir in der Strafrunde laufen sah und unmittelbar vor und hinter mir keiner zu sehen war, wusste ich nicht, auf welchen Platz ich mich bis jetzt vorgekämpft hatte. 50 m nach dem Schießstand stand meine Mutter, die ich schnell fragte, ob sie meine aktuelle Platzierung weiß, wusste sie aber nicht. Ich hatte keine Läuferin vor mir in meinem Sichtfeld. Für mich gab es jetzt nur eins. Ich habe mich ganz auf das Ziel konzentriert und nach der Hälfte der Runde rief mir ein Trainer zu, dass ich aktuell auf Platz 3 bin. Ich war überglücklich, konnte es kaum glauben und habe mich konzentriert, noch eine sehr gute Laufzeit für die Schlussrunde abzuliefern. Nach dem Zieleinlauf mit viel Jubel der Zuschauer, habe ich der Französin und der Russin zu ihren Plätzen gratuliert und mich danach mit meinen Eltern über meinen 3. Platz in der „Verfolgung“ über die Maßen gefreut. Mit der Mixed-Staffel haben wir im Team gemeinsam
auch den 3. Platz gemacht.
Du argumentierst souverän und bist noch so jung. Wie bist Du zum Biathlon gekommen und wie ist Deine Einschätzung, wie es bis heute für Dich gelaufen ist?
Sophia: Ich habe mit 3 Jahren Skifahren gelernt, meine beiden Eltern machen viel Sport. Mit 6 Jahren bin ich ins Langlauftraining gegangen, ein- bis zweimal die Woche. Als ich 8 Jahre alt war haben die Zeitwertungen begonnen und die Platzierungen und ich war bei uns in der Region immer ganz vorne dabei. Parallel zum Langlauf bin ich auch in den Schützenverein meines Vaters eingetreten, was mir viel Spaß machte. Hier entwickelte sich dann auch meine große Leidenschat für Biathlon. Mit 12 Jahren war ich bei der Bayerischen Meisterschaft mit Einzelrennen und Staffelrennen im Langlauf. In der Chiemgau-Arena habe ich beides zusammen machen können – Langlauf und Schießen. Dann kamen die Wettkämpfe in Bayern und das erste Mal zu einem Wettkampf weiter weg, aber ich war immer auf den vorderen Plätzen dabei. Mit 14 Jahren dann Deutscher Biathlon Schüler-Cup. Mein 1. Rennen in Oberhof war leider ganz schlecht, aber von Jahr zu Jahr ist es besser geworden. Mit 15 Jahren hat dann eine Steigerung bei meinen Platzierungen eingesetzt. Das Gewehr wurde vom Luftgewehr zum Kleinkaliber (50 m Schießdistanz) gesteigert und mit 16 Jahren habe ich die Gesamtwertung „Deutschland Pokal“ gewonnen. In diesem Jahr bin ich auch zweimal Deutsche Jugend-Meisterin (Sprint und Staffel) geworden. Bisher war ich im Bayern-Kader beim Bayerischen Skiverband und jetzt mit 16 Jahren bin ich in den D/C-Kader beim Deutschen Skiverband gekommen. Mit 17 Jahren habe ich mich für die EYOF (European Youth Olympic Festival) qualifiziert und im selben Jahr für die Jugend (bis 15 Jahre)- und Junioren-Weltmeisterschaften (ab 18 Jahre) in Weißrussland in Minsk. 2 Wochen nach der EYOF waren die Qualifizierungen für die WM, bei denen ich gegenüber älteren Jahrgängen ein besseres Ergebnis erzielte, sodass entgegen meiner Erwartung ich auch nach Minsk fuhr. Ich hatte keinen Druck, weil mein Ziel für dieses Jahr die EYOF war und deshalb konnte ich ohne Druck in die WM-Qualifikation gehen. In der Jugendklasse (17) hatte ich die zweitbeste Laufzeit im „Sprint“ und in der „Verfolgung“ die drittbeste Laufzeit. Schießen war aber nicht so gut, weil ich zu aufgeregt war. Insgesamt denke ich, dass ich als Biathletin auf einem guten Weg bin.
Was muss eine gute Biathletin mitbringen und warum ist es Deine Sportart?
Sophia: Ehrgeiz und Kampfgeist braucht eine Biathletin. Sie muss ihren inneren Schweinehund überwinden können und an ihre Leistungsgrenzen gehen können und wollen. Eine Biathletin muss gut schießen können und genauso gut Langlaufen. Beim Langlaufen kommen noch Kraft, Ausdauer, Technik und Schnelligkeit dazu. Ich finde Biathlon unendlich spannend, weil trotz bester Vorbereitung beim Schießen und Langlaufen der Ausgang beim Rennen immer offen ist. Ich kann im Vorfeld nicht wissen, wie gut ich schieße, wie viele Strafrunden ich absolvieren muss, ich kann mir bis zur letzten Runde, bis zum letzten Schießen einer guten Platzierung nicht sicher sein – es herrscht Höchstspannung bis zum Zieleinlauf.
Ist es nicht ungeheuer schwierig aus einem vollen Lauf heraus, vielleicht sogar, wie Du beschrieben hast, nach einer nervenaufreibenden Aufholjagd zu stoppen, sich am Schießstand auf den Boden zu werfen und in Bruchteilen von Sekunden in eine perfekte Ruhe zu kommen, um bestmöglich zielen und treffen zu können?
Sophia: Wir trainieren sehr genau den optimalen Ablauf vom Langlaufen in den Übergang zum Schießen, einschließlich einer geringsten Zeitverzögerung beim Hinlegen und Wiederaufstehen
am Schießstand. Und es dürfen auch noch äußere Einflüsse, die dazukommen, nicht vergessen werden, wie die Beeinträchtigung durch Witterung, z. B. Wind beim Schießen, der die Treffsicherheit zusätzlich erschwert. Biathlon ist für die Sportler eine sehr komplexe Sportart. Ich habe große Freude daran, mich diesen unterschiedlichen Herausforderungen in 2 Sportarten, Langlaufen und Schießen unter Einbeziehung des jeweiligen Wetters in jedem Rennen neu zu stellen.
Wie bereitest Du Dich auf die Saison vor und wie sieht Dein Training aus?
Sophia: Wir starten Anfang Mai mit viel Grundlagentraining, also Schießen ohne Belastung und ohne Langlaufen im Ruhezustand. 2 bis 3 Stunden, manchmal auch 4 Stunden täglich Laufen, Rollern, Radfahren, Berglaufen mit Stöcken, Schwimmen, Joggen und Krafttraining. In den Ferien trainieren wir zweimal pro Tag. In der Schulzeit viermal in der Woche in Ruhpolding. Ich habe einen Trainingsplan mit genauen Vorgaben für meine Trainingseinheiten.
Wie gehst Du mit dem Erfolgsdruck und dem Stress um, im richtigen Moment Deine beste Leistung abzurufen?
Sophia: Ich mache Biathlon mit ganz viel Freude und damit mache ich mir keinen Stress. Natürlich gibt es Niederlagen und dann bin ich auch enttäuscht, aber damit kann ich sehr gut umgehen und am nächsten Tag kann es ja schon den nächsten Erfolg geben.
Hast Du beim Training oder bei Wettkämpfen schon Verletzungen erlitten?
Sophia: Verletzungen habe ich keine erlitten. Durch Fehlbelastung beim Training kommt es manchmal im Knie zu Schmerzen, die ich mit Physiotherapie und Osteopathie bei Kommedico
behandeln lasse.
Kommedico nimmt am Präventionsprogramm „Ärzte für aktives Leben – Freude durch Bewegung“ teil. Was bedeutet für Dich „Freude durch Bewegung?
Sophia: Ich glaube, dass es wichtig ist, unabhängig von Leistungs- oder Hobbysport, dass, wenn es einem nicht so gut geht, man Bewegung und Sport machen soll und danach geht es einem besser. Welchen Sport man auch immer betreibt, man muss sich auf die Ausführung und damit Bewegung konzentrieren und wenn es gelingt, dann bekommt man den Kopf dadurch frei, wird zufriedener und dieses Erfolgserlebnis macht glücklich und schafft Freude an der Bewegung oder am Sport. Und wer Spaß an der Bewegung oder am Sport hat, tut es gern und öfter, vielleicht sogar regelmäßig und kann dadurch schneller gesund werden und auch bleiben.
Was sind Deine Ziele für die kommende Saison?
Sophia: Wieder gute Ergebnisse im Deutschland Pokal (die Wettkämpfe deutschlandweit) als Qualifikation für die WM in Rumänien. Ich muss dieses Jahr so gut sein, dass ich nächstes Jahr bei einer staatlichen Stelle z.B. Polizei, Zoll oder Bundeswehr einen Platz bekomme, wo ich eine Ausbildung machen oder studieren kann und weiterhin meinen Sport ausüben kann.
Was sind Deine persönlichen Herausforderungen und Ziele im Biathlon?
Sophia: Mein großes Ziel ist, nach der Jugend und Junioren-WM auch zum Weltcup und zur WM der Großen zu kommen.
Wie lassen sich der Leistungssport, Schule, Freunde und die Familie für Dich vereinbaren?
Sophia: Es ist nicht immer so einfach. Wenn wir am Mittwoch zum Wettkampf fahren, fehlen mir 5 Tage. Ich muss die 5 Tage nachholen, was immer stressig ist. Bei der EYOF z. B. ist es immer schwierig. Die Schule und meine Eltern unterstützen mich so gut es geht. Ich lerne mich leicht. Am Wochenende muss ich dann viel nachholen, Sonntag ist mein Tag fürs Nachholen. Meine Freunde verstehen das. Meine beste Freundin ist auch auf derselben Schule. Und viele Freunde habe ich auch in meiner Trainingsgruppe und die verstehen das ja ohnehin.
Vielen Dank für das Interview, liebe Sophia. Wir wünschen Dir den verdienten Erfolg in Deiner weiteren Biathlonlaufbahn.
Interviewer: Cornelia Hintz (KOMMEDICO) und Peter Müller (MED-Agentur),
Traunstein, im Oktober 2015
Fotos © KUSE.DE
Quelle: Freude durch Bewegung Live 01-2016, Ausgabe Chiemgau/Berchtesgadener Land